Fragmente aus einem Tag
von Nina-Maria Mixtacki
Heute war ein langer Tag, denke ich, während ich meine Hände in meinem flauschigen Kater vergrabe. Tröstlich so ein Tier.
Der Tag war wie das Wetter. Wechselhaft. Voller Wolken und Wind, mit einigen freudigen Sonnenmomenten, ärgerlichem Gewittergrollen und traurigen Regenwolken. Der Himmel hatte alles in petto, was geht. Alles in allem vielfältig. Und erfüllend. Genau das ist es, was ich an meinem Beruf liebe. Die Vielfalt. Ich weiß am Morgen nie, was mich bis zum Abend erwartet.
Natürlich gibt es feste Termine und viele planbare Sachen. Aber es gibt eben auch Tage, da wird mein schön ausgedachter Plan völlig über den Haufen geworfen. Heute war so ein Tag. Weil eine Person gestorben ist. Eigentlich trifft es wohl eher: ganz unerwartet, viel zu früh, mitten aus dem Leben gerissen. So richtig unfair.
An sich habe ich kein Problem mit dem Sterben, es gehört für mich genauso zum Leben dazu, wie eben auch zu meinem Beruf. Tatsächlich beerdige ich gern. Das klingt vielleicht aufs erste Hören komisch. Aber an der Schwelle zwischen Leben und Tod (und in der christlichen Hoffnung und dem Für-immer-Leben bei Gott) fühle ich, dass es tiefgründig wird. Dass wirklich Begegnungen und Gespräche entstehen können über die wichtigen Fragen des Lebens. Über die Zeit, die jede
hier auf der Erde hat. Wieviel ist genug? Was macht ein Leben zu einem gut gelebten Leben? Was kommt eigentlich danach? Wie ist Sterben? Wie sieht Trauer aus? Wo braucht es Vergebung? Wie kann ich loslassen? Und: warum, Gott, warum?
Hier bin ich voll und ganz bei meinem Gegenüber. In der Bibel gibt es einen Satz, der heißt: Lacht mit den Lachenden und weint mit den Weinenden. (Römer 12,15) Das spiegelt für mich genau das wieder, was ich als Pfarrerin tun will: begleiten in allen Lebenslagen. Früher hieß es „von der Wiege bis zur Bahre“. Heute ist das zu oft nicht mehr der Fall, weil wir PfarrerInnen nicht mehr unsere gesamte Berufsbiographie auf einer Pfarrstelle verbringen. Oft kenne ich die Verstorbenen nicht persönlich. Aber manchmal eben doch. Aber ob unbekannt oder bekannt, macht an einer Stelle keinen Unterschied: Wenn eine Person stirbt, dann ist es für mich immer eine Ehre, vom Leben dieser Person berichten zu dürfen, darin Gottes Spuren zu suchen und zu entdecken und die Angehörigen einen Schritt auf dem Weg des Abschiednehmens zu begleiten.
Im Idealfall haben die Familien über das Sterben gesprochen. Kennen Ihre Wünsche gegenseitig.
Im besten Fall stirbt eine Person nach unzähligen, erfüllten Jahrzehnten. Und dann gibt es eben auch diese Todesfälle, die sind einfach richtig Mist. Weil sie unendlich
tragisch und unverhofft kommen. Ohne Worte und ohne Fassung. Auf die habe ich keine Antworten und manchmal nicht mal tröstende Worte.
Da kann auch ich nur noch einen einzigen rettenden Strohhalm ergreifen: Meinen Glauben. Denn ich glaube, dass alle Menschen (und Tiere übrigens auch) nach dem Leben hier für immer bei Gott geborgen sind. Dort wird es sehr gut sein: ein einer neuen Himmel, eine neue Erde. Aber das als Trostpflaster auf Trauer zu kleben, das geht nicht. Es wird nicht halten. Dann hilft es nur, da zu sein, zu reden oder zu schweigen, eben mit zu tragen. Vielleicht ganz ähnlich, wie es mein Kater immer bei mir tut, wenn wieder so ein Tag war.